„Ohne funktionierende Datenströme gibt es keinen Kreislauf“
Herr Orth, Digitalisierung ist ein zentrales Stichwort der Kreislaufwirtschaft. Wie entscheidend ist sie wirklich?
Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Am Ende geht es um Daten und deren Kommunikation. Ohne verlässliche Datenbasis kann kein Kreislauf funktionieren – weder technisch noch wirtschaftlich.
Grundsätzlich sind die Akteure ja vorhanden: Sammelsysteme, Verwerter, Plattformen wie plastship, die Transparenz und Vernetzung ermöglichen. Technisch ist vieles machbar. Was häufig fehlt, ist das Bewusstsein für Verantwortung entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Regulierung als notwendiges, aber begrenztes Steuerungsinstrument
Welche Rolle spielt dabei die Politik?
Politik reguliert bereits stark – manchmal sogar sehr detailliert. Ein aktuelles Beispiel ist die europäische Verpackungsverordnung PPWR und ihre nationale Umsetzung. Der Umfang ist enorm, die Komplexität hoch.
In der Praxis zeigt sich jedoch schnell: An manchen Stellen wird überreguliert, an anderen bleiben relevante Aspekte unberücksichtigt. Politik reagiert immer – Märkte hingegen entwickeln eine eigene Dynamik. Dadurch entsteht zwangsläufig Reibung.
Zwischen Anspruch und Umsetzung
Ein häufig geäußerter Vorwurf lautet Bürokratie. Zu Recht?
Teilweise ja. Die Kritik an der PPWR wird mit der Umsetzung weiter zunehmen. Am Ende spricht man dann wieder von einem Bürokratiemonster.
Das Grundproblem ist weniger die Regel an sich als ihre Durchsetzung. Viele Vorschriften existieren – werden aber nicht kontrolliert. Das untergräbt ihre Wirkung. Gesetze ohne Umsetzung bleiben Theorie.
Krise im Kunststoffrecycling: Strukturwandel statt Stillstand
Aktuell schließen Recyclingunternehmen, die Branche steht unter Druck. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Ich halte die aktuelle Situation für eine Übergangsphase, nicht für ein Scheitern. Viele Kunststoffrecycler sind kleine und mittelständische Unternehmen mit begrenzter Kapital- und Innovationskraft. Forschung, Skalierung und Effizienzsteigerung sind unter diesen Bedingungen schwierig.
Was wir jetzt erleben, ist eine Konsolidierung. Unternehmen werden größer, Kooperationen entstehen, Kapital fließt in den Markt. Diese Entwicklung sehen wir auch in der Kunststofferzeugung und -verarbeitung.
Kooperation oder Übernahme
Was heißt das konkret für mittelständische Recycler?
Im Kern gibt es zwei Wege: kooperieren oder übernommen werden. Zusammenschlüsse und partnerschaftliche Modelle sind eine reale Chance, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Langfristig werden größere Einheiten entstehen. Die kritische Mindestgröße für einen stabilen Betrieb liegt meiner Einschätzung nach deutlich jenseits von 100.000 Tonnen Output.
Mechanisches und chemisches Recycling gehören zusammen
Welche Rolle spielen neue Technologien?
Eine sehr große. Im mechanischen Recycling gibt es enorme Fortschritte, etwa bei Sortierung, Sensorik und Maschinenbau. Die Qualität der Rezyklate steigt deutlich.
Gleichzeitig wird chemisches Recycling notwendig sein, um komplexe und gemischte Stoffströme zu verwerten. Der ideologische Graben zwischen beiden Ansätzen ist aus meiner Sicht nicht zielführend. Wir brauchen beide Wege, ergänzt durch eine realistische Bewertung ihrer jeweiligen Stärken.
CO₂-Bepreisung verändert wirtschaftliche Realitäten
Ein entscheidender Treiber ist die CO₂-Bepreisung.
Ja. Müllverbrennung wird teurer, Kunststoffabfälle erhalten einen neuen ökonomischen Rahmen. Was heute unwirtschaftlich ist, kann morgen attraktiv werden.
Dadurch steigt der Druck zur Verwertung – und gleichzeitig die Chance, regionaler und unabhängiger von fossilen Rohstoffen zu werden.
Warum ihn das Thema auch persönlich antreibt
Was motiviert Sie, sich auch heute noch so intensiv mit dem Thema zu beschäftigen?
Da gibt es mehrere Ebenen. Ein Punkt ist durchaus Eitelkeit – im positiven Sinne: Die eigenen Erfahrungen bündeln und weitergeben.
Dazu kommt Verantwortung gegenüber kommenden Generationen. Meine Generation hat die heutige Welt mitgestaltet. Also sehe ich es als meine Aufgabe, dabei zu helfen, sie ein Stück besser zu hinterlassen.
Und nicht zuletzt: Es macht mir schlicht Spaß.
Ein abschließender Appell
Wenn Sie eine zentrale Botschaft formulieren müssten – wie würde sie lauten?
Ganz einfach:
Übernehmt Verantwortung und kooperiert.
Kreislaufwirtschaft bedeutet verantwortliches Handeln entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Sie funktioniert nur, wenn Akteure zusammenarbeiten und über den eigenen Horizont hinausdenken.
Fazit
Die Transformation der Kunststoffwirtschaft ist komplex, konfliktreich und herausfordernd. Doch technologische Entwicklungen, ökonomischer Druck und ein wachsendes Verantwortungsbewusstsein schaffen neue Chancen.
Oder, wie Dr. Peter Orth es zusammenfasst:
Kreislaufwirtschaft beginnt nicht bei der Technik – sondern bei Haltung und Zusammenarbeit.